[ über scheitern ] - marc von Lehrgeld
Gibt man den Begriff Erfolg bei Google ein erhält man ca. 80.300.000 Treffer. Wenn man Scheitern eingibt sind es nur 7.290.000 Treffer. Scheitern ist also nicht gerade das, was man gerne sucht. Gleichzeitig erfreut sich ein Millionenpublikum darüber, wenn Menschen scheitern und Millionäre von erfolgreichen Firmen zelebrieren das Scheitern als Teil des Erfolges. Das Ganze spiegelt sich im anderen Extrem auf sogenannten „FuckUp-Nights“ (aha...), wo das Scheitern von Unternehmen gefeiert wird. Hmmm….
Wo liegt hier die Wahrheit? Ich will das für mich mal herausfinden.
Der Begriff Scheitern
Scheitern ist ein problematisches Wort; ich denke direkt an den Scheiterhaufen, also das Holz auf dem Menschen im Mittelalter nach deren Verurteilung verbrannt wurden und das wohl oft zu unrecht. Heute kann einem auch schnell heiß unter den Füßen werden, wenn das Wort scheitern die Runde macht. Ähnlich wie bei den Fehlern (siehe letzter Beitrag) machen wir um das mögliche Scheitern bzw. den Scheiterhaufen einen großen Bogen. Niemand will da oben stehen und das Urteil von außen ertragen, dass man versagt hat und am Ende verbrannte Erde hinterlassen. Scheitern klingt endgültig, wie eine Strafe, ohne Chance es nochmal zu probieren. Ist man gescheitert ist man quasi am Ende bzw. am Boden – und genau da wollen Menschen heute andere Menschen sehen. Gefühlt beruht jede zweite Fernsehsendung oder Beitrag im Netz auf dem „Brot und Spiele“ Prinzip im alten Rom und wie im Circus Maximus wird der Daumen dann sehr schnell gesenkt und eine tragische Figur muss dran glauben. Scheitern ist eine Sicht „der anderen“, ein Urteil von außen. Im Englischen heißt scheitern schlicht und ergreifend to fail – klingt irgendwie harmloser.
Hier eine kleine Geschichte vom Scheitern von der "SCHOOL OF LIFE"
Leben ohne scheitern ?
Wenn Du einen Film schaust, machst Du dann immer aus, wenn der Hauptdarsteller „gescheitert“ ist ? Bei Rocky wäre dann nach ca. 10 Minuten schluss, Trainspotting bräuchtest Du gar nicht anfangen und beim Paten würdest Du nach Teil 1 aussteigen – schade! Nein, man schaut den Film, weil man wissen will, wie der Gescheiterte mit seiner Situation umgeht und vielleicht doch noch zum Helden aufsteigt. Das Scheitern war Teil der Selbsterkenntnis und jetzt, wo alles klar ist, geht es in die richtige Richtung. Je größer das Scheitern, desto spannender der Film und damit meine ich nicht TITANIC!
Zu Beginn der Flugzeugentwicklung gab es mehrere 1000 Prototypen, die alle samt vom Himmel fielen. Es war massenhaftes Scheitern erforderlich, ja Bedingung, um Flugzeuge zu bauen, die am Himmel blieben. Über die Prototypen und die hartnäckigen Entwickler redet heute niemand mehr - nur über die funktionierende Flugzeuge, die übrig blieben und die erfolgreichen Menschen dahinter. Menschen können auf dem Scheitern anderer Menschen aufbauen und sich mit Ihrer Überzeugung gegen Widerstände von außen durchsetzen und etwas Neues schaffen, einige werden dennoch leer ausgehen.

Lizenz zum Scheitern
Kinder haben die „Lizenz zum Scheitern“. Sie machen ständig Fehler und versuchen es immer wieder - keiner spricht hier vom Scheitern. Die Fehler haben hier keine Folgen und was noch viel besser ist, der Schrecken der Verlegenheit bleibt meistens aus, weil man nicht so viel darüber nachdenkt. Erik Kessels schreibt in seinem Buch „FAST PEFREKT“ (wird wirklich so geschrieben…) „Wer die Regeln nicht kennt, weiß auch nicht, wie man sie bricht. Amateure haben keine Angst vor dem Scheitern“.
Aus meiner Sicht gibt es drei Arten von scheitern „für Erwachsene“, die diesen Begriff nicht verdienen:.
Aufgeben, weil man festgestellt hat, dass man etwas anderes will. Ging mir 2002 so bei meinem Studium der Medieninformatik. Nach zwei Semestern habe ich es abgebrochen, weil es nicht mein Ding war. Ich habe Lehrgeld gezahlt und hätte nur weitergemacht, um andere nicht zu enttäuschen oder dem „Scheiterhaufen“ zu entgehen. Ich frage mich, wie viele Menschen da draußen etwas tun, dass sie nicht wollen, weil Sie glauben das sie es müssten.
Verlieren, trotz großem Engagement. Du hängst Dich voll rein in ein Projekt z.B. für einen Kunden oder bei einem Wettbewerb und es reicht einfach nicht. Ein anderer zieht an Dir vorbei oder schnappt Dir den Auftrag weg. Was hat man falsch gemacht ? Eigentlich nichts man hat einfach nur Lehrgeld gezahlt, neue Fähigkeiten erlernen müssen oder mehr trainieren, um einen Schritt weiter zu kommen.
Zweiter Anlauf trotz pleite. Es gibt Unternehmer, die im ersten Anlauf gescheitert sind und keine zweite Chance bekommen, obwohl Sie aus Ihren Fehlern gelernt haben und jetzt erst wissen, worauf es ankommt. Vielleicht ein Grund, warum manche Männer die Firma beim zweiten Versuch auf Ihre Frau anmelden ? Es gibt eine Studie der Uni Hohenheim, in der es darum geht, wie tolerant Deutschland im Umgang mit gescheiterten Unternehmen ist: Da ist noch Luft nach oben.
„Wenn Du etwas noch nie getan hast, probiere es dreimal. Erstens, um die Angst zu überwinden. Zweitens, um zu lernen, wie Du es machst. Und ein drittes Mal, um herauszufinden, ob es Dir gefällt oder nicht.“
Virgil Thomson, Komponist (1896-1989)
Gehen wir jetzt alle feiern ?
So, nachdem das jetzt alles klar ist, treffen wir uns dann alle zum Feiern unseres Scheiterns und werfen mit Zitaten von Thomas Edison und Henry Ford um uns (meistens werden bei Beiträgen zum Scheitern immer wieder die gleichen Zitate ausgegraben...) ? Nein danke – ich bin raus und trinke lieber ein gutes Glas Primitivo auf die Menschen, die mutig, engagiert, lernfähig und hartnäckig waren und dennoch gescheitert sind, weil sie schlicht und ergreifend Pech hatten, über´s Ohr gehauen wurden, nicht die gleichen Voraussetzungen hatten oder sie ein Schicksalsschlag ereilt hat. Hier hat und wird auch niemals irgendein Erfolgsratgeber oder die Methode von einem „TSCHAKKA DU SCHAFFST ES GURU“ helfen! Ich denke, man kann für eine Sache brennen, sein Bestes geben und dennoch scheitern, umsonst ist es nie. Wenn man seine eigene Erwartung im Zaum hält und die von anderen nicht über sich bestimmen lässt, kann das Scheitern einfacher werden. Vielleicht scheitern wir hierzulande ja nicht unbedingt „früh, schnell und häufig“ wie die Amerikaner, dafür aber „früher, zügiger und öfter“ und wenn wir Zufall und Glück als Teil des Spiels akzeptieren geht es einfach nur darum, unsere Chancen zu erhöhen und sie zu nutzen, wenn sie uns über den Weg laufen.
Marc von Lehrgeld
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