[ über fehler ] - marc von Lehrgeld
Bei einer internationalen Vergleichsstudie kam heraus, dass Deutschland in puncto Fehlertoleranz auf dem vorletzten Platz von 61 Staaten landet. Also schneiden wir in diesem Bereich etwa so gut ab, wie beim Eurovision Song Contest. Fehlerforscher (ja die gibt es wirklich) gehen davon aus, dass dahinter die Angst vor Neuem und Veränderung steckt. Dazu kommt die Angst, Fehler zuzugeben.
Sieht so aus als hätten wir ein echtes Problem mit Fehlern. Warum redet dann kaum jemand darüber und woran liegt es, dass wir Fehler vermeiden ?
Wenn ich so über Fehler nachdenke, wird mir bewusst, dass es verschiedene Arten von Fehlern gibt, wie z.B.:
Vermeidbare Fehler
Kennt man vom Tennis als „Unforced Errors“, also Fehler zum in den Schläger beißen. Man weiß, wie etwas funktioniert und macht es
trotzdem falsch oder zum wiederholten Mal falsch, was eigentlich noch ärgerlicher ist. Fehlertoleranz hier? Eher aus Mitgefühl würde ich sagen.
Tödliche Fehler
Herzchirurgen, Fluglotsen, Bombenentschärfer…. Fehlertoleranz ? Bitte nicht!
Denkfehler
Viele Denkfehler sind uns oft nicht bewusst und daher vermutlich egal. Hier geht es also eher um Fehlerignoranz statt Toleranz. Das ist wie bei dieser Beispielaufgabe. Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 €. Der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball? ...... 5 cent - klar, aber viele antworten hier voreilig 10 cent.
Glückliche Fehler
Fehler können auch Leben retten!
Wilson Greatbatch konstruierte ein Gerät zur Aufzeichnung von Herztönen, dabei unterlief ihm ein Fehler, weil er den falschen elektrischen Widerstand einbaute. Aus diesem Fehler entstand der Herzschrittmacher. Fehlertoleranz ? Gerne, mehr davon!

Und an diesem Punkt kommen wir der Art von Fehlern näher, die man eher nicht vermeiden sollte. Fehler an der Grenze zu etwas Neuem, Unbekanntem und Unvorhersehbarem. Hier werden Fehler wahrscheinlicher und haben größere Auswirkungen und sind daher offensichtlich in unserer Leistungsgesellschaft ein Tabu.
Mit einem Fehler macht man sich angreifbar, wirkt inkompetent, blamiert sich oder enttäuscht Erwartungen. In seinem Buch „Lob des Irrtums“ beschreibt Jürgen Schäfer es treffend „Passiert uns ein Fehler, verlieren wir für einen Moment den Zugriff auf die Gegenwart“.
Wir verlieren die Kontrolle also halten wir uns lieber zurück, machen weniger oder nur das was wir können oder das worin wir glauben, Experten zu sein - wird sind doch keine Amateure!
Feuer machen
Stell Dir vor, Du wärst gestrandet auf einer einsamen Insel, wie Robinson Crusoe und musst jetzt vieles neu lernen, um zu überleben. Vielleicht 1000 Fehler machen bis Du das verdammte Feuer anbekommst oder 100 Anläufe, diesen widerspenstigen Fisch zu fangen. Du machst so lange Fehler bis Du gelernt hast, wie es geht. Es gibt dazu keine Alternative. Pure Lernerfahrung auf unbekanntem Terrain.
Zurück von der Insel bist Du umgeben von Experten, Kollegen, Nachbarn, Freunden und Feinden und obwohl es manchmal wichtig wäre, mal wieder ein „Feuer“ im übertragenen Sinn zu machen also etwas neues ausprobieren oder anders machen, weil es für einen selbst, das Unternehmen, die Familie oder was oder wen auch immer notwendig wäre - macht man es nicht. Man könnte sich ja die Finger verbrennen. Und dann hoffen wir darauf, dass jemand anders Feuer bzw. den Fehler macht aber es passiert nichts und wir sagen auch nicht, dass mal ein Feuer gemacht werden müsste. Und wenn wir es dann doch wagen und es geht schief, hagelt es (vielleicht) Urteile, Belehrungen, Spott und Hohn und diese Aussicht will sich doch jeder gerne ersparen.
Und so ist oft das einzige was uns mit Robinson Crusoe verbindet, auf „Freitag“ zu warten und alles weiter aufzuschieben. Dabei ist doch derjenige, der das Feuer anbekommt immer der Held, oder nicht ?
"Man fällt nicht über seine Fehler. Man fällt immer über seine Feinde, die diese Fehler ausnutzen." Kurt Tucholsky
BETA LIFE
Hier in Deutschland haben wir den Anspruch, perfekte Maschinen zu bauen. Fehler während der Produktion am Besten vermeiden und am Ende komplett ausmerzen. So sind wir immer gut gefahren. Mit der Digitalisierung (bitte leicht bedrohliche Musik im Hintergrund vorstellen, die etwas Angst machen soll...) sehen wir immer mehr Unternehmen, die keine Maschinen produzieren, sondern digitale Plattformen, die sich ständig weiterentwickeln und nie richtig fertig sind. Hier wird klar, warum wir ein Problem bekommen, wenn wir weiter so mit Fehlern umgehen, wie bisher. Man kann perfekte Maschinen nicht aktualisieren, also werden sie zu einem späteren Zeitpunkt fehlerhaft. Sie sind sozusagen „nicht offen für neues“ und damit symbolisch für uns. Viele Programme, die wir nutzen laufen in der Betaversion oder sind sogar „Permanent Beta“, d.h. eine dauerhafte ICH BIN NOCH NICHT FERTIG ABER FUNKTIONIERE Version.
Das hat doch was!
Der Anbieter macht deutlich, dass die Verbesserung im Gang aber das Ganze noch nicht perfekt ist - er ist aber nicht dafür angreifbar. Der Nutzer hingegen hat eine Lösung, bei der er davon ausgehen kann, dass Sie besser wird und er so über bestimmte Noch-Fehler leichter hinwegsehen kann, der Nutzer wird dadurch fehlertolerant und sogar ermutigt, sich an der Fehlersuche zu beteiligen. Man arbeitet mit Fehlern, statt sie zu vermeiden. Auf das Leben übertragen hätten wir quasi A BETA LIFE. Funktion schlägt Perfektion. Prozess schlägt Resultat. STARTEN, MACHEN, LEHRGELD ZAHLEN. Vielleicht sollten wir alle permanent beta sein ?

Und während ich so schreibe und langsam die Konzentration flöten geht und vermeidbare Fehler drohen, fliegen mir Gedanken durch den Kopf wie „ was ist wenn hier inhaltlich ein Fehler drin ist oder ich mir an einer Stelle widerspreche oder später merke, dass ich Dinge anders sehe oder fehlerhaft ausgedrückt habe ganz abgesehen von Rechtschreibefehlern. Ich kann doch nicht im Nachhinein noch an diesem endgültigen Beitrag rumschrauben und den ständig optimieren.. “ doch das kann ich! Das ist nämlich mein Artikel und vielleicht bin ich ja ein „Betablogger“.
Und wir zahlen jeden Tag.
Marc von Lehrgeld
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